Es gibt Hormone, bei denen der Grat zwischen sinnvollem, medizinischen Einsatz und bedenklicher oder körperschädigender Darreichungsform sehr schmal ist. Und ich denke dabei nicht an die Sparte „Anabolika“.
Viele Hormone und deren Vorstufen haben ihre ganz bestimmte und lebenswichtige Funktion in unserem Körper und können deshalb auch substituiert werden, wenn es medizinisch einen Sinn ergibt. Aber der Mensch versucht immer an die Grenzen oder gar darüber hinaus zu gehen und so passiert es auch bei dem Einsatz von ganz bestimmten Hormonen, wenn diese nicht für den therapeutischen bzw. medizinischen Zweck eingesetzt werden.
Eines dieser Hormone ist das Oxytocin.
Aber von Anfang an: Oxytocin ist ein Hormon, welches im Gehirn gebildet wird, genauer gesagt vom Hypothalamus. Von dort aus wandert es zu den zugehörigen Rezeptoren. Diese Oxytocin-Rezeptoren (OXTR) befinden sich in verschiedenen Körpergewebearten, unter anderem in den Myoepithelzellen der Milchdrüsen, den Geweben der Geschlechtsorgane, der Nieren, des Herzens, des Thymus, der Bauchspeicheldrüse und in Fettzellen.
Das Neuropeptid wurde 1906 von Henry Dale entdeckt und seinen Namen (vom griechischen „okytokos“: leichtgebärend) erhielt das Hormon 1927. Der strukturelle Aufbau wurde erst 1953 entschlüsselt, was die Grundlage für die Herstellung des Wirkstoffs in relevanten Mengen bedeutete.
Medizinisch wird das Hormon wie bereits oben beschrieben in Zusammenhang mit der Schwangerschaft und Geburt eingesetzt. D.h. seit den 1960ern wird Oxytocin in der Geburtshilfe zur Wehenförderung eingesetzt. Es ist zugelassen für die Anwendung bei Schwangeren, um die Geburt einzuleiten, sowie während der Geburt, um die Wehen zu verstärken beziehungsweise anzuregen. Nach der Geburt wird das Hormon verabreicht, um Blutungen vorzubeugen (Blutungsprophylaxe) und die Ausstoßung der Plazenta zu beschleunigen.
Über die Jahrzehnte hat man festgestellt, dass Oxytocin noch viel mehr kann.
Heute ist bekannt, dass Oxytocin sowohl als Hormon als auch als Neurotransmitter wirkt. Die Bandbreite seiner Wirkung ist daher größer als ursprünglich angenommen und spielt unter anderem bei der Paarbindung, Orgasmen, mütterlicher Bindung, Gruppen- und Angstverhalten eine entscheidende Rolle.
Wann und wie wird Oxytocin neben der Indikation „Wehenförderung“ eingesetzt? In einigen Ländern ist ein Oxytocin-Nasenspray am Markt, der zur Förderung des Milchaustritts (jedoch nicht der Milchbildung) aus den Milchdrüsen eingesetzt wird.
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„Bioidentische Hormone – Einsatz und bestmögliche Anwendung.“
Außerhalb der offiziell zugelassenen Anwendungsgebiete (also „off-label“) wird Oxytocin u.a. bei Autismus oder anderen Verhaltensstörungen verabreicht.
Hierzu ein Beispiel: Autisten haben typischerweise Schwierigkeiten, mit anderen Menschen zu kommunizieren, sie scheuen den Blickkontakt und können die Mimik und Gestik ihres Gegenübers nicht richtig deuten. Die Ursache für diese Reaktion ist bislang unklar, aber man vermutet, dass Oxytocin hier eine Rolle spielen könnte. Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass autistische Kinder deutlich erniedrigte Plasmaspiegel des Hormons im Vergleich zu gesunden Kindern aufweisen.
Um zu untersuchen, wie die Gabe von Oxytocin bei Autisten wirkt, verabreichten französische Neurowissenschaftler 13 erwachsenen Betroffenen die Substanz per Nasenspray. Dann untersuchten sie deren Sozialverhalten anhand eines Computerspiels und überprüften die Wirkung von Gesichtern auf die Patienten.
Weiterführender Artikel:
„Hormon-Rezepturen – Fertigarzneimittel oder Individual-Rezeptur?“
Ergebnis: Oxytocin steigerte das Vertrauen und verbesserte die soziale Interaktion der Patienten. Ein Test war so aufgebaut, dass der Proband am Computer mit drei virtuellen Partnern Ball spielen sollte. Die drei Computerfiguren gaben den Ball unterschiedlich häufig an die Probanden zurück.
Die Forscher wollten dabei herausfinden, ob die Patienten sich für den kooperativen Ballpartner entscheiden würden, also für den, der ihnen den Ball am häufigsten zuwarf.
Die Studienteilnehmer, die Oxytocin erhalten hatten, wandten sich tatsächlich dem »guten« Ballspieler zu und warfen diesem den Ball häufiger zu als den anderen. Nach eigenen Angaben hatten sie mehr Vertrauen zu ihm. Patienten ohne Oxytocin, die Placebo erhielten, machten diese Unterscheidung nicht.
Diese Studie zeigt als Beispiel die andere Seite von Oxytocin.
Verhaltensstörungen unterstützen und Ergebnisse von Studien legen eine beruhigende und deeskalierende Wirkung des Neuropeptids nahe. Zudem ist die sexuell stimulierende Wirkung von Oxytocin beim Menschen sowohl für Männer als auch für Frauen nachgewiesen. Und die beim Orgasmus freigesetzten hohen Oxytocindosen bewirken danach eine Phase der Entspannung und Müdigkeit.
Und wer selbst einmal ausprobieren will, wie es sich anfühlt, wenn besagtes Hormon gebildet wird, darf sich gerne diesem Selbstversuch hingeben: schauen sie einfach ihrem Partner für 15 Sekunden in die Augen. Dann sollte ein Gefühl entstehen, welches durch das Anfluten von Oxytocin im Blut initiiert wird. Oder noch ein Beispiel: wenn sie als Elternteil ihr Kind umarmen und bewusst innehalten… dann spüren sie, was Hormone und in diesem Falle das Oxytocin bewirken.
Fazit
Bevor man beginnt Oxytocin intravenös oder als Nasenspray zuzuführen, kann man selbst daran „arbeiten“ es zu produzieren. Alleine der Hautkontakt, eine Massage, angenehme Körperkontakte wie Umarmungen und Zärtlichkeiten oder sogar Singen schütten das Hormon aus. Selbst durch die Nahrungsaufnahme, durch Geruchs-, Klang- und Lichtstimulation und auch bei Stress wird es infolge einer entsprechenden Konditionierung freigesetzt. Sie sehen, so einfach ist es, dieses besondere Hormon wirken zu lassen… fangen Sie einfach damit an!
Ihr
Dr. Stefan Bär
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